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Falsche Versprechen – die tödliche Gefahr der „Germanischen Neuen Medizin“
Sendung vom 10. November 2005, Autor: Alexander Kobylinski und Caroline Walter
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Für seine Anhänger ist er „ein Genie“, ein Vorbild und Vordenker. Er macht sie glauben, dass Krebs ohne Chemotherapie und Bestrahlung heilbar ist. Er behauptet, dass die Juden Schuld seien an den vielen Krebstoten in aller Welt. Er darf schon lange nicht mehr als Arzt arbeiten, er sitzt in Frankreich im Gefängnis, weil er dort illegal praktiziert hat. Er wird in Frankreich mit mehreren Todesfällen in Verbindung gebracht. Doch Ryke Geerd Hamer und seine „Germanische Neue Medizin“ werden trotzdem immer populärer. Mit tödlichen Folgen. Alexander Kobylinski und Caroline Walter über eine menschenverachtende und höchst gefährliche „Heilslehre“.
Krebs, der Fluch. Wer Krebs hat, klammert sich an alles, was ein bisschen Heilung, ein bisschen Leben verspricht. Verständlich also, dass Krebskranke sogar den Heilsversprechen von Scharlatanen glauben.
Nun hat in Europa eine Bewegung Zulauf, die sich „Germanische Neue Medizin“ nennt. Am Germanischen Wesen soll die Welt genesen – das könnte noch als Spinnerei durch gehen und bräuchte uns nicht weiter zu interessieren – wenn nicht so viele Kranke auf die absurden „Therapien“ der Bewegung hereinfielen. Und oft mit ihrem Leben für ihre Gutgläubigkeit bezahlen müssen.
Alexander Kobylinski und Caroline Walter über die furchtbare Germanische Neue Medizin.
Roselor Huber denkt viel an ihre Tochter. Sie ist an Brustkrebs gestorben. Ihre Tochter lehnte jede schulmedizinische Behandlung ab. Denn sie vertraute der Germanischen Neuen Medizin. Der Tochter wurde erzählt, Krebs sei heilbar – und zwar ohne Chemotherapie, ohne Operation. Der Tumor brach schließlich durch die Brust. Der Zustand der Tochter war ein Schock.
Roselor Huber
„Sie war nur noch ein Skelett mit Haut überzogen, ein paar Büscheln Haaren. Sie sah aus wie 90. Und die ganze Brust, es war offen, es hat geblutet, faulige, es hatte Eiter, die Brust, Rücken, eine faule, eitrige offene Wunde. Man hätte fast die Knochen sehen können, es war einfach alles weg. Das muss entsetzlich geschmerzt haben.“
Doch ihrer Tochter wurde von der Germanischen Neuen Medizin eingeredet, das sei eine Selbstheilung vom Brustkrebs. Sie müsse nur durchhalten, wurde ihr von Anhängern dieser Theorie geraten. Roselor Huber macht die verantwortlich für den Tod ihrer Tochter.
Roselor Huber
„Ich werfe ihnen vor, dass sie akzeptieren, dass so und so viele Leute grauenvoll zugrunde gehen. Ohne ärztliche Hilfe. Es sind Lügner, es sind Menschenverächter. Ich weiß nicht, was ich denen noch sagen soll.“
Heidelberg vor drei Wochen: Hunderte von Anhängern der Germanischen Neuen Medizin demonstrieren. Sie machen Stimmung gegen die Schulmedizin und schüren die Angst vor Chemotherapie, sie nennen es Chemo-Holocaust.
Vor allem für ihn gehen sie auf die Straße: Dr. Hamer, den Erfinder der Germanischen Neuen Medizin.
Hamer hat eine einfache These: Jeder Krebs entsteht durch ein dramatisches Erlebnis. Wenn man dieses psychisch verarbeitet, also seinen Konflikt löst, dann verschwindet der Krebs – ohne medizinische Behandlung. Dr. Hamer darf seit 20 Jahren nicht mehr als Arzt praktizieren. Weil er trotzdem mit seiner Neuen Medizin Patienten behandelte, sitzt er zurzeit im Gefängnis. Doch von dort agiert er weiter, seine Anhängerschaft ist in Deutschland enorm gewachsen. Dafür sorgt Hamers rechte Hand: Helmut Pilhar.
Er hat ein Netzwerk aufgebaut. Fast jeden Tag ist er in Deutschland in Sachen Hamer unterwegs, hält Seminare. Viele kommen übers Internet zur Germanischen Neuen Medizin. Über 80 Stammtische gibt es bundesweit, die man besuchen kann. Auch zu Vorträgen wird eingeladen.
Ein Vortragsabend in der Nähe von Berlin. Medien dürfen nicht rein, das Material wurde uns zugespielt. Über 120 Menschen hören Dr. Hamers Stellvertreter zu.
Er behauptet: Krebs sei ein sinnvolles „Sonderprogramm“ der Natur. Wer seine seelischen Konflikte löse, der brauche vor Krebs keine Angst mehr zu haben.
Er sagt:
Zitat:
„Ein Patient bemerkt Blut im Stuhl. Der Neue Mediziner klatscht in die Hände, ‚Gott sei Dank, ich hab den Darmtumor lösen können’. Hamer sagt: ‚Brauchst gar nichts tun’.“
Und:
Zitat:
„Die Neue Medizin kostet fast nichts, hat keine Nebenwirkungen.“
Die Chemotherapie sei dagegen tödlich. So ködert Hamers Mann die Menschen.
Und immer mehr glauben nur zu gern dieser einfachen Krebstheorie. Über 1000 Menschen gingen für Hamer in Tübingen auf die Straße.
Demonstrantin
„Die Schulmedizin macht den Leuten dermaßen Angst, dass die schon total am Boden sind. Und Dr. Hamer, der macht den Menschen Mut.“
Wolfgang Adelhelm hat dafür kein Verständnis. Sein Bruder vertraute auch der Germanischen Neuen Medizin. Er starb vor wenigen Wochen an Leukämie. In den Büchern von Hamer hieß es: das Glück der Leukämie und dass dieser Krebs etwas Positives sei. Der Bruder wurde von Hamer höchstpersönlich betreut und folgte dessen Rat, die Leukämie nicht zu behandeln.
Wolfgang Adelheim
„Herr Hamer hat meinem Bruder ganz klar abgeraten, hat ihm gesagt, wenn er sich in die Hände der Schulmedizin begibt, wird das sein Untergang sein. Diesen Satz hat mein Bruder auch mehrmals wiederholt in Gesprächen mit uns. Herr Hamer hat ganz klar gesagt, er hat ein anderes Konzept von Krankheit und seine Leukämie ist ein Selbstheilungsprozess des Körpers. Und darauf hat er sich dann eingelassen mein Bruder.“
Innerhalb kurzer Zeit brach die Leukämie aus, er konnte nicht mehr laufen, bekam innere Blutungen. Unerträgliche Schmerzen sollte er aushalten, das gehöre zum Heilungsprozess. Schmerzmittel würden da stören.
Am Ende musste der Bruder von Wolfgang Adelhelm künstlich beatmet werden und starb.
Dabei hätte er eine Chance gehabt – denn diese Art von chronischer Leukämie ist gut behandelbar – so der Krebsspezialist Dr. Sökler von der Uniklinik Tübingen.
Dr. Martin Sökler, Universitätsklinikum Tübingen
„Bei dieser Form von Leukämie hat man in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Nicht nur dass die Erkrankung mittels einer Knochenmarktransplantation heilbar ist, auch ohne Transplantation kann man diese Erkrankung, mit einem speziell für diese Leukämieart entwickelten Medikament, sehr, sehr gut behandeln.“
Todesfälle, die nicht sein müssten. Selbst dafür hat die Germanische Neue Medizin eine Erklärung. Der Tote ist selbst schuld.
Demonstrant
„Wer an Krebs stirbt, hat es nicht gerafft, seine Konflikte zu lösen.“
Die Germanische Neue Medizin ist ein in sich geschlossenes Weltbild. Wer Hamer glaubt, nimmt alles in Kauf: auch Antisemitismus. Hamer behauptet: es gebe eine Verschwörung gegen ihn. Und zwar von jüdischen Geheimgesellschaften. Die Juden verhinderten die Anwendung seiner Neuen Medizin und sie wollten den Massenmord an Nicht-Juden.
An seine Anhänger schreibt Hamer:
Zitat:
„Wir Nichtjuden werden gezwungen, weiterhin die jüdische Schulmedizin zu praktizieren, mit Chemo, Morphium...“
Demonstrantin
„Er meint, da ist jemand, dieser Oberrabbi, der verhindert, dass bei uns die Neue Medizin praktiziert wird, das habe ich bei ihm gelesen.“
KONTRASTE
„Warum, wie kommt er darauf?“
Demonstrantin
„Er wird das wissen, wenn er das schreibt. Ich vertrau ihm und ich glaube ihm.“
Sogar Kinder werden schon in dieses System hineingezogen, auf Demonstrationen für Hamer eingespannt. Ihre Eltern beschweren sich, dass ihnen der Staat das Sorgerecht entzieht, wenn sie ihr krebskrankes Kind nicht schulmedizinisch behandeln lassen.
Für die Kleinen gibt es sogar Kinderbücher der Neuen Medizin. Die gefährliche Theorie verpackt in nette Comics.
Wir finden die Autorin dieser Kinderbücher in der Schweiz, sie gilt als Aushängeschild der Germanischen Neuen Medizin. Wir wollen wissen, welche Ratschläge sie Eltern gibt. Sie soll den echten Fall eines 10jährigen Mädchens beurteilen, das an bösartigem Knochenkrebs leidet.
Daniela Amstutz wirft einen kurzen Blick auf das Röntgenbild. Für sie ist die Sache klar: Die Kleine sei auf einem guten Weg, der Krebs in der Heilung. Sie rät strikt von Chemotherapie und Operation ab. Dann der unglaubliche Vorschlag: Verstecken Sie ihr Kind vor der Schulmedizin, tauchen Sie im Ausland unter. Sie habe schon einmal ein krebskrankes Kind aus Deutschland versteckt. Als Therapie rät sie zu Quarkwickeln. Dem Mädchen müsse man vor allem klar machen, das Schmerzen etwas Gutes seien.
Prof. Henze, renommierter Kinderkrebsspezialist an der Berliner Charite, ist schockiert über diesen gefährlichen Ratschlag, ein Kind im Ausland vor der Schulmedizin zu verstecken.
Prof. Günter Henze, Universitätsklinikum Charité Berlin
„Das bedeutet, dass dieses Kind unvermeidlich stirbt. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen, denn die bösartigen Knochenkrebse sind eben tödlich wenn sie nicht behandelt werden. So einen Rat, ein Kind, der wirksamen und nachweislich wirksamen Behandlung zu entziehen, eigentlich kriminell.“
Die Kinderbuchautorin nennt noch einen wichtigen Mann in Deutschland, den man unbedingt fragen müsse. Dieser Heilpraktiker sei die Nummer Eins in der Neuen Medizin.
Wir verfolgen die Spur. Sie führt nach Köln zu dem Heilpraktiker Siegfried Mohr. Auch er bekommt den Fall des 10jährigen Mädchens mit der Diagnose bösartiger Knochenkrebs vorgelegt.
Er sagt, das Kind brauche keine Schulmedizin. Um eine Chemotherapie zu verhindern, hat er eine Idee: Der Heilpraktiker ruft einen ihm bekannten Radiologen an. Und bespricht mit ihm einen Deal:
Er solle doch ein neues Röntgenbild machen und dann einfach eine falsche Diagnose stellen. Und zwar etwas Harmloses wie Arthrose oder so. Mit diesem neuen, gefälschten Befund könnten die Eltern eine Chemotherapie für ihr Kind umgehen.
Der Radiologe willigt offenbar ein.
KONTRASTE
„Wie finden Sie das?“
Prof. Günter Henze, Universitätsklinikum Charité Berlin
„Solche Handlungsweise ist in höchstem Maße verwerflich und überhaupt nicht zu rechtfertigen. Und man muss dafür sorgen mit allen Mitteln, dass diesen Menschen, die so etwas tun, die Berufserlaubnis entzogen wird.“
Wir finden heraus, dass der Heilpraktiker Mohr sogar andere in der Neuen Medizin ausbildet. In dieser Broschüre für Heilpraktiker-Fortbildung wirbt einer sogar damit, von Hamer und Mohr ausgebildet worden zu sein.
Wir wollen den „Ausbilder“ Mohr zu seinen tödlichen Ratschlägen befragen.
KONTRASTE
„Herr Mohr, wir würden gerne mit Ihnen über die Germanische Neue Medizin reden? Wir würden gerne mit Ihnen über die Todesfälle reden, die es gibt?“
Schweigen anstatt Verantwortung zu übernehmen